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Bin ich co-abhängig? Die Gedankenwelt der Co-Abhängigkeit

Aktualisiert: vor 2 Tagen


Stell dir vor, du gibst alles in einer Beziehung – du opferst dich auf, liest deinem Partner jeden Wunsch von den Lippen ab und versuchst, ihn vor jedem Schmerz zu bewahren. Aber trotzdem fühlst du dich leer, frustriert und immer wieder enttäuscht. Du fragst dich: Warum reicht das nicht? Warum fühle ich mich so wertlos, wenn ich nicht gebraucht werde?


In diesem Artikel tauchen wir ein in die Gedankenwelt der Co-Abhängigkeit – warum sie entsteht, wie sie unsere Beziehungen prägt und warum sie uns davon abhält, echte, gesunde Liebe zu erfahren. Wir schauen uns an, wie die Angst vor Ablehnung und die Suche nach bedingungsloser Liebe uns in toxische Dynamiken treibt und wie wir lernen können, uns selbst zu finden. Ich habe diese Worte aufgeschrieben, um so klar wie möglich zu zeigen, wie sich die Gedankenwelt der Co-Abhängigkeit anfühlen kann – welche inneren Mechanismen sie antreiben und wie sie unser Verhalten prägt.


Die co-abhängige Person stammt aus einer Familie, in der Liebe an Bedingungen geknüpft war. Sie hat schon früh gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse und Emotionen zurückzustellen. 

Häufig wurde sie parentifiziert, das heißt, sie musste früh eine erwachsene Rolle übernehmen. Sie hat gelernt, mit den Unzulänglichkeiten ihrer Bezugspersonen umzugehen, indem sie zur vermeintlichen Retterin wurde. Doch dieser Anschein trügt. Es war vielmehr ein Versuch, die Umstände und vor allem die eigene Angst zu kontrollieren – die Angst, die wichtigste Bezugsperson zu verlieren, Bindung zu verlieren.


Diese Person fühlte sich häufig schuldig für die psychischen Probleme ihrer Mutter oder ihres Vaters. Sie nahm wahr, dass sie als zusätzliche Belastung empfunden wurde, und entwickelte die Strategie, das Leben der Mutter oder des Vaters leichter zu machen, indem sie “funktionierte”. So gelang es ihr, die Stimmungen und Umstände in der Familie zumindest ansatzweise unter Kontrolle zu bringen – auch, um selbst aus der Schusslinie zu geraten. Gleichzeitig entwickelte sich in ihr tief verwurzelt das Gefühl, nur dann wertvoll zu sein, wenn sie gebraucht wird oder die Probleme anderer löst. Dieses Muster führte zu einem niedrigen Selbstwertgefühl, trotz der Tatsache, dass sie gleichzeitig sehr selbstständig und autonom agiert. Um jedoch ihr Selbstwertgefühl zu regulieren und der tief sitzenden Angst vor Ablehnung nicht ausgeliefert zu sein, benötigt sie ein Gegenüber, das gleichermaßen abhängig von ihr ist. So entsteht eine wechselseitige Abhängigkeit.


Meistens basiert die unbewusste Übereinkunft in solchen Beziehungen auf folgendem Prinzip: „Du hilfst mir, mein Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten und meine Angst vor Ablehnung zu minimieren, und ich helfe dir, keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

Ihr Partner repräsentiert die frustrierende Bezugsperson, die sie in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt hat und ihr keine bedingungslose Liebe gab. Daher geht sie Beziehungen mit Menschen ein, die emotional abwesend sind. Wenn dies nicht der Fall ist und sie auf einen gesunden Partner trifft, wird sie – durch projektive Identifikation – unbewusst dafür sorgen, dass dieser immer stärker in Abhängigkeit gerät. Nicht aus bösem Willen oder Absicht, sondern aus dem inneren Drang, ihre tief sitzende Angst vor Ablehnung zu minimieren, indem eine gegenseitige Abhängigkeit geschaffen wird.


Sie traut ihrem Gegenüber nicht zu, für sich selbst sorgen zu können, da sie ständig die Angst begleitet, erneut einem Liebesentzug wie in ihrer Kindheit ausgesetzt zu sein. Sie hat das Erkennen von Bedürfnissen, Emotionen und Stimmungen zu einer nahezu perfektionierten Fähigkeit entwickelt – einem Hochleistungssport. Niemand scheint so gut darin zu sein, die unausgesprochenen Bedürfnisse anderer zu identifizieren und darauf zu reagieren. Dabei übersieht sie jedoch, dass sie in ihrer Kindheit gelernt hat, Zuneigung und Liebe durch Belohnung oder Bestrafung zu “verdienen”. Diese Verhaltensweise entspricht einer subtilen Form der emotionalen Manipulation. Indem sie versucht, andere zufriedenzustellen oder deren Probleme zu lösen, strebt sie nach deren Zustimmung und Bestätigung. Dabei ignoriert sie jedoch die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche der anderen Person, was langfristig ebenfalls zu Unzufriedenheit und Konflikten führt. Ihr Verhalten ist nicht bewusst gesteuert, doch es lohnt sich, sich dieser Dynamiken bewusst zu werden. Der Preis, den sie für diese Muster zahlt, ist hoch – sowohl für sie selbst als auch für ihre Beziehungen.


Es baut sich immer mehr Frust in ihr auf, da sie spürt, wie sie sich zunehmend selbst aufgibt und verliert. Sie befindet sich im Wiederholungszwang ihrer Kindheit: Ihre eigenen Bedürfnisse zählen nicht. Tief in ihr sitzt eine Angst vor echter Bindung, da die Gefahr der Ablehnung zu groß erscheint. Sie kann nicht erkennen, wer sie jenseits ihrer Rolle als Retterin oder Helferin ist. Zwar wollen wir alle auf eine Weise gebraucht werden, doch bei ihr wird dieses Bedürfnis zur zentralen Säule ihres Selbstwertgefühls.


Irgendwann bricht sie aus, wenn der Druck zu groß wird, und erkennt, dass sie sich selbst völlig verloren hat. Oder ihr Partner beginnt zu protestieren, weil auch er in dieser Abhängigkeit gefangen ist. Wenn er sagt: „Ich will deine Hilfe nicht“, denkt sie: „Dann bin ich wertlos, ausgeliefert und werde abgelehnt.“ Es folgt eine tiefe innere Leere, die sie nur durch die nächste Beziehung zu lindern versucht. Sie braucht es, gebraucht zu werden, um sich immer wieder zu beweisen, dass niemand sie bedingungslos lieben kann.


Trotzdem funktioniert sie hervorragend, nach außen hin perfekt, und leidet dabei still unter emotionaler Erschöpfung und einem ständigen inneren Druck, perfekt sein zu müssen. Doch sie optimiert sich nicht für sich selbst, sondern für den nächsten Hilfsbedürftigen. Je besser sie helfen kann, desto wertvoller fühlt sie sich. Was sie dabei noch nicht erkannt hat: Sie vermeidet dadurch, sich ihren eigenen Bedürfnissen, Problemen und Ängsten zu stellen. Stattdessen kontrolliert sie ihren Selbstwert ausschließlich durch die Rückmeldung anderer. Braucht ihr Partner sie nicht, wird sie wütend. Lehnt er ihre Hilfe ab oder möchte eigenverantwortlich handeln, wird sie unbewusst dafür sorgen, dass er wieder aus der Verantwortung gezogen wird. Sie hat die Möglichkeit, zu erkennen, dass wahre Hilfe und Liebe aus einer gesunden gegenseitigen Unterstützung entstehen. Dass Menschen nur dann wirklich wachsen können, wenn sie selbst Verantwortung tragen dürfen. Nur so erleben sie sich selbst als selbstwirksam und können ihr eigenes Selbstwertgefühl auf gesunde Weise stärken.


Doch genau hier liegt ihre tiefste Angst: Wenn der andere selbstwirksam wird, wird er mich verlassen.


Manchmal nimmt sie narzisstische Züge an, obwohl sie kein Narzisst ist. Diese Verhaltensweisen dienen allein dazu, ihren Selbstwert um jeden Preis zu schützen und zu erhöhen. Die innere Leere, nicht zu wissen, wer sie ist, wenn sie nicht hilft, erscheint ihr unerträglich und könnte sie in ein tiefes Loch stürzen. Dieses Bedürfnis, sich über das Helfen zu definieren, ist letztlich ein Versuch, der Angst vor Bedeutungslosigkeit und dem Gefühl der Wertlosigkeit zu entkommen.


Sie denkt verzweifelt: „Bitte verlass mich nicht.“ Sie ist hypervigilant gegenüber kleinsten Anzeichen von Ablehnung oder der Autonomie ihres Partners. Sie beobachtet jede seiner Handlungen genau und interpretiert sie als mögliche Gefahr, verlassen zu werden. In ihrem Kopf kreist der Gedanke: „Siehst du nicht, dass ich alles für dich tue, egal wie schwer es mir fällt? Ich erfülle dir jedes Bedürfnis – Hauptsache, du bleibst bei mir.“


Trotzdem denkt sie manchmal darüber nach, die Beziehung zu beenden, um sich selbst zu finden und endlich wieder spüren zu können, wer sie ist. Doch wie sollte sie das schaffen? Sie kann ihren Partner doch nicht sich selbst überlassen – schließlich braucht er sie. Diese Verantwortung und die Hoffnung treiben sie weiter an. Sie glaubt fest daran, dass sie es irgendwann schaffen könnte, ihren Partner von allem Leid zu befreien. Doch wenn es tatsächlich jemals so weit kommen sollte, wird ihr schlagartig klar, dass es nie wirklich das Ziel war, den Partner „zu retten“. Der Weg, das ständige Helfen und Kümmern, war immer ihr eigentliches Ziel. Dieser Weg gibt ihr Bedeutung und Bestätigung.


In ihrem Inneren lebt eine romantisierte Vorstellung von Liebe, die bedingungslos ist, wie die zwischen Mutter und Kind: sich gegenseitig aufopfernd umsorgen, unabhängig von den dysfunktionalen Dynamiken, die auftauchen. Doch wie soll das funktionieren, wenn beide Partner unabhängig und autonom sein sollen?


Sie sehnt sich nach der mütterlichen oder väterlichen Liebe, die sie als Kind vermisst hat. Das Verlangen, sich umeinander uneingeschränkt zu kümmern, verhindert jedoch eine erwachsene Beziehung auf Augenhöhe. Es hindert sie daran, selbst emotional erwachsen zu werden. Ihr inneres Kind sehnt sich immer noch danach, diese aufopfernde Liebe zu bekommen – nicht bewusst, aber unbewusst erwartet sie doch etwas im Gegenzug.

Ihre Hingabe ist nicht bedingungslos. Sie sagt: „Ich mache dich zu meinem Kind, und du machst mich hoffentlich zu deinem, damit ich mich endlich akzeptiert, geliebt und geborgen fühlen kann.“ Dieses Verlangen, sich über die Rolle des Kümmerns zu definieren, verweigert ihr selbst und ihrem Partner die Möglichkeit, eine gesunde, gleichberechtigte und erfüllende Beziehung zu führen.


Trotz ihrer Schwierigkeiten gibt es Hoffnung auf Heilung. Sie darf erkennen, dass ihr Selbstwert unabhängig von den Erwartungen oder Bestätigungen anderer besteht. Sie darf sich mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinandersetzen und lernen, gesunde Grenzen zu setzen.

Die Entwicklung eines stabilen Selbstbildes und die Fähigkeit, echte Nähe und Intimität aufzubauen, können ihr helfen, sich von den alten, schmerzhaften Mustern zu lösen. 

Der Weg ist nicht leicht, aber er führt zu Freiheit und einem erfüllten Leben – einem Leben, in dem sie nicht mehr von der Angst vor Ablehnung bestimmt wird, sondern von der Kraft, sich selbst anzunehmen und zu lieben.




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